Drei Wochen unterwegs. Im Zug, mit dem Schiff, im Bus und zu Fuß über Meere, Land, durch Täler und über Berge.
Ein Fahrtenbericht von Odilia Mast
Erstmals erschienen in der Schülerzeitung der
Waldorfschule Freudenstadt, Ausgabe 1, Jan. 2020.
Anreise:
Wir waren uns alle einig, dass wir eigentlich nicht fliegen wollen, den Hin- und Rückweg über Wasser und Land zurückzulegen hätte allerdings zwei Wochen gedauert. Also nur den Hinweg mit Zug und Schiff. Abends am Stuttgarter Hbf am 2.8.2019 beginnt also unsere Reise. Zu zwölft, nur mit unserem Rucksack bepackt, machen wir uns auf den Weg nach Georgien. Der einzige Zug der Verspätung haben wird, bis wir in Georgien ankommen, ist der erste von Stuttgart nach München. Doch zum Glück kriegen wir den Anschluss, mit unseren Rucksäcken rennen wir aufs andere Gleis. Der Zug hat auf uns gewartet und bringt uns nach Salzburg, wo wir mehrere Stunden mitten in der Nacht auf unseren auf dem Bahnsteig ausgerollten Isomatten, versuchen zu schlafen. Im Nachtzug nach Budapest wird mir während dem Schlaf der Rucksack geklaut, ohne das ich das Geringste gemerkt hätte. Zum Glück finden wir den Rucksack auf der Zugtoilette wieder, allerdings komplett durchwühlt, doch nichts wurde entwendet. Die wenigen Euros, die ich dabei hatte, wurden nicht gefunden. Von Budapest geht es dann mit einem ratternden Zug, in dem man die Fenster und Türen während der Fahrt öffnen kann, weiter. Mit breiten Sesseln ausgestattet wirkt der Wagon, den wir fast komplett für uns alleine haben, wie ein Wohnzimmer. Genüsslich flätzen wir uns in die Sessel und versuchen den verpassten Schlaf der vorangegangenen Nacht nachzuholen. Vor der Grenze in die Ukraine müssen wir in einen gerappelt vollen Grenzzug umsteigen. Mit unseren Rucksäcken quetschen wir uns in den einzigen Wagon, Grenzbeamte zwängen sich durch den vollen Zug. Nach zehn Minuten Fahrt sind wir in der Ukraine und kommen ohne Probleme durch die Grenze. Der erste Stempel landet in unseren Reisepässen. Freundlicherweise werden wir von einem fremden Mann darauf hingewiesen, dass wir uns jetzt in einer anderen Zeitzone befinden. Vor dem Bahnhof auf einem kleinen Platz kochen wir uns unsere erste Gaskochermahlzeit. Und wir lernen eine nette Ukrainerin kennen, die mehrere Jahre in den Niederlanden gelebt hat, sie hilft uns Trinkwasser zu besorgen, hier zapft man sich das Wasser für ein paar Grivna am Automaten. Sie bleibt bei uns bis unser Zug spät abends abfährt. Ein ukrainischer Nachtzug, Holzklasse. Die meisten Passagiere schlafen eigentlich schon als wir einsteigen, uns wird Bettwäsche gebracht und glücklich, endlich ausgestreckt schlafen zu können, kuscheln wir uns auf die schmalen Liegen. Mit Rattern schaukelt der Zug uns in den Schlaf. Früh morgens um fünf müssen wir allerdings schon wieder aufstehen, wir kommen in Lviv an. Die Läden sind noch geschlossen. Auf dem eben öffnenden Basar kaufen wir ein und versuchen noch ein paar schöne Ecken der Stadt zu erhaschen, bevor es in den nächsten Zug geht. Dieser ist erstaunlich luxuriös. Die Abteile sind alle voneinander getrennt und es sind nur vier Personen pro Abteil angedacht. Den ganzen folgenden Tag verbringen wir nun in diesem Zug, es ist anstrengend, sich seit zwei Tagen nicht wirklich frei bewegen zu können und wir sind froh als wir Abends endlich in Odessa ankommen.
Odessa
Noch haben wir das Ziel für diesen Tag aber nicht erreicht, wir müssen noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis zu der recht außerhalb gelegenen Waldorfschule gelangen, mit der wir im Voraus schon Kontakt aufgenommen hatten. Wir stehen also an der Bushaltestelle, vollgestopfte Marschrutkas halten, Menschen zwängen sich hinein und einen Moment später sind sie schon wieder weitergefahren. Mit der Hilfe von Passanten schaffen wir es nach einer Weile, den richtigen alternativen Trolleybus zur Marschrutka zu finden und tuckern durch das nächtliche Odessa. Das Licht im Bus flackert, wir spekulieren ob nur in Links- oder Rechtskurven, oder vielleicht doch nur wenn der Bus langsamer wird? Ich versuche mich auf dem Liniennetzplan zurechtzufinden, als mir ein junger Mann seine Hilfe anbietet. Er fährt mit uns bis zu unserer Station und führt uns mit noch zwei Freunden zur Waldorfschule. Erst stehen wir vor einer anderen Schule, so gut scheinen sich die Jungs nicht auszukennen, doch nach einigem Hin und Her kommen wir schließlich am späten Abend in der Schule an und werden von der Pförtnerin begrüßt. Sie zeigt uns den Jungen und den Mädchenschlafsaal, zwei recht heruntergekommene Klassenzimmer mit Alufolie vor den Fensterscheiben. Wir richten uns alle im Mädchenschlafsaal ein und sind wahnsinnig froh angekommen zu sein. Zu den Tönen der Elektromusik aus dem Nebenraum schlafen wir erschöpft ein. Die folgenden zwei Tage verbringen wir in Odessa, da wir auf die Fähre warten müssen. Von der Schule aus erkunden wir die Stadt, gehen ans Meer oder ruhen uns aus. Eigentlich wollten wir der Schule unsere Hilfe anbieten, aber der Versuch ist kläglich gescheitert. Wir durften nur ein bisschen Schutt wegräumen, mehr haben sie uns nicht helfen lassen. Im Gegenteil, sie haben uns sogar noch ihre Hilfe angeboten. Die kleine Schulküche durften wir zum Kochen benutzen, allerdings mussten wir feststellen, dass es durchaus nicht ratsam ist, das Geschirr ungespült oder sogar Essensreste in der Küche stehen zu lassen. Selbiges wurde sonst nämlich von Küchenschaben überfallen. Am dritten Morgen verlassen wir die Waldorfschule wieder, doch bevor wir gehen dürfen, müssen wir uns noch einmal kurz hinsetzen und schweigen, ein alter Brauch. Die Fahrt zur Fähre ist erneut ein kleines Abenteuer, die Pförtnerin der Schule führt uns erst zum falschen Bus, dann passen wir wieder nicht alle gemeinsam in die Marschrutka. Die Zeit verstreicht, doch in zwei Gruppen aufgeteilt schaffen wir es dann schlussendlich in die kleinen vollgestopften Busse. Nun müssen wir uns nur noch bei der Fähre registrieren und auf den kleinen Schuttlebus warten, der uns an die Ablegestelle fährt. Im Schatten eines Baumes vespern wir angebrannten Reis und Brot mit köstlichen Herrlichkeiten.
Schiffsreise
Bei der Ablegestelle müssen wir eine halbe Ewigkeit warten. Wir stehen in einem kleinen Flur ohne Fenster, der zweimal um die Ecke geht. Hinter der zweiten Ecke befindet sich eine Tür, die alle zehn Minuten aufgeht, ein Luftzug fährt durch den Flur und zwei Menschen verschwinden in dem dahinterliegenden Raum. Die Schlange wird nur sehr, sehr langsam kürzer, hinter der Tür hört man Hundegebell. Wir malen uns schon aus, was da alles hinter sein könnte und fragen uns ob wir wohl mit Axt, Gaskocher, Medikamenten und co. durch die Grenzkontrolle kommen werden. Aber alle Sorgen sind vergebens, die Grenzbeamten hatten wohl nur ein Problem mit unseren ausländischen Pässen zurecht zu kommen. Abends mit dem Sonnenuntergang verlassen wir dann endlich den Hafen. Die See ist fast glatt, aber an Deck windet es ganz schön. Lastwagenfahrer und Touristen teilen sich mit uns für die nächsten Tage das Schiff. Auf dem hinteren Deck stehen lauter Lastwagen, ein Anhänger ist voller Schweine, deren Quitschen man bis aufs Passagierdeck hört. Zwei Nächte und einen Tag tuckern wir über das Schwarze Meer. Morgens sehen wir in der Ferne die Krim vorbeiziehen, sonst ist alles blau, bis zum Horizont. Alles was man an Deck anfasst ist bedeckt mit einem dünnen Salzfilm. Die Sonne brät herunter. Hin und wieder sehen wir ein paar Delfine, die das Schiff aber rasch hinter sich lässt. Sonst sieht man nur Blau. Am Nachmittag setzen wir uns alle zusammen und planen unsere Wanderroute im Kaukasus und spielen Spiele. Zwischen den Schornsteinen geht in tiefem Rot die Sonne unter. Wir sind nun schon fast eine Woche unterwegs, ohne wirklich in der Natur gewesen zu sein und bisher hatten wir auch immer ein Dach über’m Kopf. Seit fast einer Woche sitzen wir aufeinander ohne uns richtig bewegen zu können. Da wir das erste Mal alle zusammen unterwegs sind, ist das nicht der ideale Anfang für eine Fahrt. Während wir so durch das Meer tuckern, malen wir uns aus wie es wohl in Georgien wird. Der Unterschied von Deutschland in die Ukraine war schon stark spürbar, man merkt den mentalen Unterschied doch sehr deutlich, überall stehen Trabbis und Ladas zwischen den alten Sowjetbauten. Immer wieder sieht man Autos mit deutschen Aufschriften. Von Außen macht vieles einen heruntergekommenen Eindruck. Die Gastfreundschaft ist dahingegen allerdings sehr herzlich und warm.
Ankunft in Georgien
Am Morgen unserer Ankunft in Batumi, Georgien bin ich mit einigen von uns früh morgens aufgestanden, um den Sonnenaufgang anzuschauen. Man sieht am Horizont schon ganz zart die Silhuette des Kaukasus, getaucht in den Glanz der aufgehenden Sonne. Immer näher rückt das Land, bis wir schließlich die Skyline von Batumi sehen können. Mit einem gewissen orientalischen Touch recken sich moderne Wolkenkratzer in den Himmel und stehen im Kontrast mit den letzten Eindrücken aus Odessa. Nachdem wir lange auf die Passkontrolle gewartet hatten, dürfen wir endlich an Land. Das erste mal in meinem Leben setze ich meinen Fuß auf nicht europäischen Boden. Am Strand warten wir auf unseren Zug und Frühstücken in der Morgensonne, im Sand. Der Zug nach Tbilisi ist ein Doppeldecker, fast gleich wie ein deutscher Zug, vermutlich von einem österreichischen Hersteller. Bis zum Abend durchqueren wir einmal fast ganz Georgien, dabei sehen wir sowohl tropische, als auch steppenähnliche Gebiete. Und das alles in einem Land, das nur so groß ist wie Bayern. Ab dem Bahnhof in Tbilisi ist unsere Reise nicht weiter geplant. Da wir nicht irgendwo in einem Park schlafen wollen, suchen wir nach einer Möglichkeit am selben Tag noch bis nach Gremi zu kommen. Gremi liegt etwa achtzig Kilometer von Tbilisi entfernt, dort befindet sich eine Einrichtung für benachteiligte Menschen, in der wir die nächsten Tage helfen werden. Wir stehen nun also in Tbilisi, es ist schon Dunkel und es wird heute kein regulärer Bus mehr nach Gremi fahren. Wir fragen uns ein bisschen durch, was es denn für Möglichkeiten gibt, bis wir einen Marschrutkafahrer finden, der uns anbietet, das er uns noch heute nach Gremi fahren kann. Für einen Aufpreis natürlich. Da ich die einzige mit richtigen Russischkenntnissen bin liegt die Kommunikation nun bei mir. Der Fahrer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten“ – Dieter Nuhr, aber er selbst versteht kein Deutsch. Für umgerechnet 80€ fährt er uns in seinem Mercedes-Sprinter durch das nächtliche Georgien. Ich unterhalte mich mit ihm über deutsches Bier und die Pläne für unsere Reise. Dabei erfahre ich, das der Bus in dem wir sitzen eigenhändig von ihm aus Kassel bis hier nach Georgien gefahren wurde. Ein komisches Gefühl, mitten in Georgien in einem deutschen Auto zu sitzen. Nach Mitternacht erreichen wir TEMI und werden von einer Handvoll deutscher Freiwilliger begrüßt. Auch sehr seltsam, plötzlich wieder fremde deutsch-sprechende Menschen zu treffen. Erschöpft kuscheln wir uns in unsere Schlafsäcke.
TEMI…
…ein Ort der Ruhe. Zwar wird der Ton schnell mal rau, doch ist trotzdem alles sehr herzlich. Die treibende Kraft hinter allem, sind die Freiwilligen und Susanna. Susanna kommt aus Deutschland und lebt immer für ein halbes Jahr in TEMI. Sie vermittelt die Kontakte mit den Freiwilligen und Spendern. Sie gibt uns eine ausführliche Hofführung. Das Gelände steckt voller Potenzial, man würde am liebsten gleich die Ärmel hochkrempeln und loslegen. Doch den thematischen Mittelpunkt bildet hier weder die Landwirtschaft, noch das Handwerk. Im Zentrum stehen der Mensch und die Therapie. An zwei Morgenden helfen wir Kartoffeln ernten, bevor die Sonne herunter brät und uns in Trägheit fallen lässt. Trotz der großen Hitze pflücken wir an einem Nachmittag gemeinsam 14 Kg Brombeeren. Und an einem anderen helfen ein paar von uns Mirabellen pflücken, wobei der spannende Teil die Fahrt auf dem Autodach ist. Die Freiwilligen haben dieses Jahr die komplette Eingangshalle renoviert. Wir helfen ihnen in den letzten Zügen und streichen mit ihnen das Treppengeländer rot. Das Essen ist erst gewöhnungsbedürftig, wir werden traditionell georgisch bekocht und wenn man sich selbst bedient, werden einem von der Köchin böse Blicke zugeworfen. Ganz selbstverständlich sind wir zu einem Teil der Gemeinschaft geworden. In dieser Insel der Menschlichkeit.
Den letzten Abend lassen wir mit Tanz und Gesang und einer Weinverkostung ausklingen. Die Panduriklänge noch im Ohr, sortieren wir die letzten überflüssigen Sachen aus unserem Gepäck, richten uns für die morgige Fahrt und schlummern das letzte Mal beim Gesumme der Mücken im Musikzimmer von TEMI ein. Das von der Community selbst gebackene Brot wird uns auf den ersten Wandertagen eine gute und vor allem schmackhafte Stärkung sein.
Wanderung
Wieder im selben Mercedes-Sprinter geht es nun los in die Berge. Als wir in das Tal einbiegen, in welchem unsere Wanderung starten soll, nimmt die Qualität der Straßen merklich ab. Immer wieder kommen Passagen, in denen die Straße eigentlich nur eine mit Schlaglöchern übersäte Schotterpiste ist. Das erfreut den Fahrer unseres Vertrauens allerdings keineswegs und er lässt merkbar werden, dass er uns nicht bis zu unserem gedachten Startpunkt fahren wird. Wir verabschieden uns also frühzeitig, und nehmen die zusätzlichen acht Kilometer das Tal entlang auf uns. Während wir noch im Tal sind, versuchen wir zu trampen. Vier von uns plus zwei zusätzliche Rucksäcke schaffen es mitgenommen zu werden, darunter auch ich. Gekonnt fährt der Mann bei dem wir mitfahren die gefühlt 90° steile Dreckpiste hoch und zischt mit rasantem Tempo um die Kurven. Achterbahngleich erklimmen wir Höhenmeter um Höhenmeter. Oben in Roschka, unserem heutigen Tagesziel angekommen stellen wir vier fest, das es doch ein ganzes Stück Strecke war, das wir mit dem Auto zurückgelegt haben. Wir beginnen uns Sorgen zu machen, schaffen die anderen es noch bis zum Anbruch der Dunkelheit hier hinauf? Ist diese Strecke zu Fuß in dieser kurzen Zeit machbar? Als wir schon vermuten, das wir die Nacht getrennt verbringen müssen, tauchen Silhuetten am gegenüberliegenden Hang auf. Erst fragen wir uns, sind das Kühe oder Menschen? Aber es sind Menschen. Wieder vereint bauen wir aus unseren Jurtenplanen eine Konstruktion gegen Regen. Als die Sonne untergegangen ist, wird es schnell sehr kalt. Bis auf die Nasenspitze stecken wir ganz in unseren Schlafsäcken.
Über den Pass
Am nächsten Tag geht es bergauf. Wir frühstücken auf einem großen Felsen, die eintönige rationalisierte Mahlzeit wird von frisch gepflückten Himbeeren versüßt. Unser heutiges Tagesziel sind die Abudelauri Seen. Zwei kleine Bergseen voll glasklarem Wasser, eiskalt. Schon zur Mittagszeit kommen wir an. Auf einem kleinen Plateau bauen wir uns einen Sonnenschutz und machen es uns gemütlich. Die Sonne brät herunter und wir suchen Abkühlung im kalten Nass. Bis auf zwei haben wir alle unsere Badesachen in TEMI gelassen, das heißt wir baden nun nackt. Die Seen sind wirklich eiskalt, sobald wir im Wasser sind, gehen wir auch schon wieder raus. Trotz der Kälte schwimmen drei von uns in die Mitte des Sees, um dort auf einem Stein, knietief im Wasser stehend den Ententanz aufzuführen. Der Wetteinsatz ist eine Tafel Schokolade. Je später es wird, desto mehr kriegen wir zu spüren, das der Pass den wir laufen wollen sehr touristisiert ist. Immer mehr Menschen laufen an unserem kleinen Lager vorbei, und schlagen ihre Zelte bei den Seen auf. Und wenn man sich etwas von den Wegen entfernt, sieht man wahnsinnig viel Klopapier und Müll herumliegen. Das entspricht eigentlich nicht so sehr dem Naturerlebnis, das wir suchen. Am nächsten Morgen stehen wir noch vor Sonnenaufgang auf, denn heute werden wir den Chaukipass überqueren. Bis auf 3413 m.ü. M. werden wir heute aufsteigen. Rasch packen wir unsere Sachen zusammen, als wir losgehen geht gerade die Sonne auf. Mit uns mit läuft ein schwarzer Hund, er hat sich auch schon am Vortag immer wieder in unserer Nähe aufgehalten. Ohne zu betteln begleitet er uns. An einer Kreuzung eilt er voraus, doch wir entscheiden uns für den anderen Weg, eigentlich den falschen. Das bemerken wir dann auch nach einer Weile, allerdings wollen wir dann auch nicht mehr umdrehen. Wobei der Weg auch auf den selben Pass führt. Frohen Mutes gehen wir also weiter, auf dem schmalen Pfad, der sich vor uns erstreckt. Wir setzen Fuß vor Fuß, jeder in seinem Tempo, die Gruppe zieht sich ganz schön auseinander. Der Weg ist bald kein richtiger Weg mehr, sondern nur noch eine Art Geröllstreifen. Ich bin in der hintersten Gruppe. Wir sind zu viert. Um unsere Füße mit Blasenpflastern zu versorgen machen wir Pause und futtern Müsliriegel. Die anderen sind schon nicht mehr zu sehen. Die Sonne brennt mittlerweile ganz schön herunter. Mühsam begeben wir uns wieder in die Senkrechte. Schritt für Schritt bezwingen wir den Berg, der sich uns entgegen neigt. Auf dem gefühlt neunzig Grad steilen Fels suchen wir uns unseren Weg. Alle paar Meter bleiben wir stehen um zu verschnaufen. Oben hat der Rest der Gruppe schon einen Sonnenschutz auf dem kahlen Fels aufgebaut. Der Hund ist immer noch bei uns, er kriegt von uns einen Platz in unserem provisorischen Schatten. Vom Pass aus können wir den Kasbek sehen. Die, die nicht völlig erschlagen unter den Jurtenplanen liegen erklimmen noch die umliegenden „Bergspitzen“, ein atemberaubender Anblick der sich uns bietet. Eine Gepäckkarawane zieht an uns vorbei und mehrere Wandergruppen. Wir tanzen noch einen in TEMI gelernten Tanz, dann geht es wieder bergab. Das geht merklich schneller als der Aufstieg. Rasch sind wir wieder im Tal angekommen. An einem klaren Bergbach richten wir unser Lager auf. Wäsche wird gewaschen, Tagebuch geschrieben, gekocht. Am nächsten Morgen schlafen wir aus. Olga hat Geburtstag. Zum Frühstück gibt es Porridge mit Studentenfutter und Trockenfrüchten. Ganz entspannt lassen wir den Tag angehen und wandern weiter talabwärts. Wir mussten mittlerweile feststellen, dass unsere Essenskalkulation so nicht aufgehen wird. Wir müssen mehr essen als wir haben, weil sonst ein Teil der Gruppe den restlichen Weg nicht schaffen wird. Zu Mittag erreichen wir ein wahnsinnig touristisches Dorf, in welchem sich allerdings keine Möglichkeit bietet einzukaufen. Bei der Frage, ob wir dort einkehren scheiden sich die Geister. Nach einer hitzigen Diskussion teilt sich die Gruppe, alle bis auf drei gehen Essen. Ich gehöre zu den Drei. Wir machen es uns am Straßenrand gemütlich und verzehren die spärliche angedachte Mahlzeit. Nachdem die anderen vom Essen zurück sind, trampen zwei in das Dorf talabwärts, in dem es einen Laden geben soll. Der Rest macht sich auf den Weg, der Schotterstraße ins Tal folgend bis zu dem Abzweig wo unser Weg über den zweiten Pass startet. Ich bin mit den Nerven mittlerweile ziemlich am Ende. In den letzten Tagen haben sich unterschwellig so viele Dissonanzen aufgebaut, die sich am Mittag das erste Mal so richtig gezeigt haben. Und außerdem habe ich Hunger. Im Tal finden wir eine ebene Stelle neben einem Fluss an der wir das erste Mal unsere Kohte aufstellen, da hier unten wieder Bäume wachsen. Dieser Abend ist mein persönlicher Tiefpunkt auf der ganzen Reise. Es stehen so viele unausgesprochene Dinge im Raum. Wir beschließen am folgenden Tag eine Gesprächsrunde zu halten.
Der zweite Pass
Heute ist die erste Nacht in der es regnet. Mittlerweile haben wir die Touristengebiete verlassen. Ab jetzt folgen wir einer Schotterstraße die uns entlang einer Stromtrasse über den Pass führen wird. Immer wieder müssen wir den immer schmaler werdenden Fluss überqueren. Auf dem Schotterweg lassen sich lauter Bergkristalle finden. Einmal müssen wir über eine Schneewehe steigen und immer begleiten uns die Strommasten. Schon am ersten Tag schaffen wir es bis hoch kurz vor den Pass. Dieser ist nur 2347 m hoch. In einer Senke umgeben von jungen Bullen bauen wir unser Lager auf und halten die geplante Gesprächsrunde, in der sich zum Glück die meisten Dinge klären. In der Dunkelheit wird noch schnell ein Plan für den morgigen Tag gemacht, denn vier von uns werden morgen ihre Älterenprüfung machen. Zusammengekuschelt in einer niedrigen Planenkonstruktion (hier oben gibt es wieder keine Bäume mehr) schlafen wir zum Prasseln des Regens ein. Früh morgens vor dem Sonnenaufgang werden die Vier geweckt und in die vier Himmelsrichtungen fortgeschickt. Dort müssen sie sich mit Fragen beschäftigen, die wir ihnen mitgegeben haben. In der Zwischenzeit packen wir alles zusammen und wandern los. Die Vier werden mit den nötigen Utensilien und einigen Aufgaben bis zum folgenden Tag alleine unterwegs sein. Wir stiefeln also in aller Frühe los, kurz hinter dem Pass frühstücken wir, grade sind wir fast fertig mit Essen, da fängt es an zu regnen. Auf dem Weg abwärts wechseln wir, wie auch das Wetter alle paar Minuten unsere Klamotten. Die Schotterstraße, die immer noch den Strommasten folgt ist teilweise weggerissen und tief zerfurcht. Das einzige Dorf an dem wir vorbeikommen, besteht aus zwei notdürftig zusammengezimmerten Häusern. Unten Im Tal ist der Weg dann nicht mehr so eindeutig, wir entscheiden uns nach der Münze zu gehen. Leider die falsche Entscheidung wie sich herausstellt. Über Geröll laufen wir entlang dem Fluss und suchen eine Stelle, um diesen zu überqueren, bis wir wieder unseren Weg finden. Vorbei an bissigen Wachhunden kommen wir unserem heutigen Tagesziel näher. Auf einem Platz neben dem Fluss, den die Einheimischen zum Volleyball spielen und rumhängen nutzen, bauen wir schlussendlich unsere Kohte auf nachdem wir mitsamt den Rucksäcken den Fluss durchquert haben, weil wir nicht noch zur Brücke laufen wollten. Den folgenden Tag waschen wir Wäsche vertreiben uns die Zeit mit allem möglichen Krimskrams und warten auf die Prüflinge. Diese sind wahnsinnig froh, als sie ankommen, endlich wieder Zähne putzen zu können. Nackt machen wir eine Badesession, als ein paar der Dorfbewohner zu unserer Kohte gelaufen kommen. Sie beschweren sich bei uns, das man hier ja nicht nackt baden kann, hier seien kleine Kinder und außerdem macht man so etwas nicht. Wie sich später herausstellt ist Nacktheit in Georgien sehr unangebracht. Am Abend spielen wir noch Volleyball mit den Jugendlichen aus dem Tal, die hier, wie sich herausstellt, nur im Sommer wohnen. Im Winter wohnen sie in Tiflis.
Das Ende
Der nächste Tag, ist unser letzter Wandertag. Immer der Straße folgend laufen wir bis Pasanauri. Als wir an der Badestelle des Ortes Vespern schenkt man uns einfach so Brot. Die Zwei voraus gelaufenen Einkäufer werden von einem Russen in die Banja eingeladen. Er hat wohl auch nichts dagegen, das wir alle kommen. Also gehen wir frisch gestärkt zu seinem Haus, in dem wir auch die Nacht verbringen dürfen. Komplett entkleidet wird uns eine vier stündige Saunasession gegönnt. Erst nach drei Stunden verrät uns Dima, der freundliche Russe, das man in Georgien nicht nackt sauniert. Für ihn ist das nicht ganz so ein großes Problem, denn in Russland ist das schon üblich, aber er hätte auf jeden Fall nicht damit gerechnet, das neun Frauen und nur drei Männer bei ihm in der Sauna auftauchen werden. Am nächsten Morgen laden wir ihn zum Pfannkuchenessen ein, aber er kommt nicht. Wahrscheinlich haben wir ihn doch ein wenig verstört. Unsere Wanderung ist nun vorbei. Per Anhalter fahren wir nach Tbilisi, wo wir uns für eine Nacht in der Christengemeinschaft einquartieren dürfen. Diese ist glücklicherweise recht zentral gelegen und wir können von dort aus noch Tbilisi erkunden. Wir teilen uns in kleinere Gruppen auf um die unterschiedlichen Interessen zu versorgen. Abends geht es zum Flughafen, dort treffen wir einen der Freiwilligen aus TEMI wieder der bis Riga den selben Flug gebucht hat. Er bringt unser aussortiertes Gepäck wieder und mehrere Flaschen, in TEMI hergestellten, georgischen Wein. Mitten in der Nacht fliegen wir los und noch am selben Tag werden wir wieder zuhause angekommen sein. Ein sehr komisches Gefühl, so plötzlich wieder in der heimatlichen Zivilisation zu sein. Ich hätte noch ewig so weiterreisen können.